Adam Remmele
Adam Remmele (* 26. Dezember 1877 in Altneudorf, heute eingemeindeter Ortsteil der Stadt Schönau im Rhein-Neckar-Kreis; † 9. September 1951 in Freiburg) war Müller, Gewerkschafter und Genossenschafter, Redakteur und sozialdemokratischer Politiker.
Leben und Wirken
Kindheit und Jugend
Adam Remmele wurde am 26. Dezember 1877 in Altneudorf bei Heidelberg geboren. Er war der älteste Sohn des Müllers Peter Remmele und seiner Frau Katharina, geb. Daub. Drei Brüder und eine Schwester wurden noch geboren, immer an verschiedenen Orten, da Müller Remmele gezwungen war, mit der ganzen Familie dort hin zu ziehen, wo es Arbeit für ihn gab. Schließlich landete die Familie in Ludwigshafen, wo Peter Remmele eine Anstellung in der Mühle der Ludwigshafener Presshefe- und Spritfabrik gefunden hatte.
Ausbildung zum Müller
Nach siebenjährigem Besuch der Volksschule begann Adam 1891 eine Lehre als Müller im Mühlenwerk der Ludwigshafener Presshefefabrik, in der auch sein Vater Arbeit gefunden hatte. Sofort nach Beendigung seiner Lehrzeit im Jahre 1894 trat er in die für ihn zuständige Gewerkschaft ein, den „Verband deutscher Müllergesellen“, und begab sich danach auf die für Handwerksburschen übliche Wanderschaft durch Süddeutschland. Wahrscheinlich kam Remmele dabei auch in die Schweiz; auf jeden Fall lernte er soziales und demokratisches Gedankengut kennen. Ebenfalls im Jahre 1894 war er in die einzige Partei eingetreten, die damals für eine soziale Demokratie und die Aufhebung der Klassenunterschiede, für Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit kämpfte: Er wurde Mitglied der SPD.
1899 nach Ludwigshafen von seiner Wanderschaft zurückgekehrt, fand Remmele Arbeit als Müller in verschiedenen Betrieben, bildete sich durch den Besuch von Volkshochschulkursen in Mannheim weiter und war nebenher als Agitator für die Partei vor allem an den Wochenenden tätig. Außerdem war er „Kartellvorsitzender“ des Gewerkschaftskartells der Müller und verwandter Berufe in Ludwigshafen – schon der junge Remmele zeigte ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, eine Bildungswut und ein enormes und unerschrockenes Engagement für Gewerkschaft und Partei, alles Dinge, die damals ganz und gar nicht selbstverständlich waren, denn unter den Mühlenbesitzern kursierten „Schwarze Listen“, auf denen Personen verzeichnet waren, die für die SPD agitierten und damit ihren Arbeitsplatz riskierten.
Familie, Ludwigshafen, Altenburg
Trotz umfangreicher beruflicher und ehrenamtlicher Tätigkeiten hatte Remmele auch noch ein Privatleben: Am 13.4.1901 fand die standesamtliche Trauung zwischen dem Müller Adam Remmele und seiner Frau Philippine Rosine, geb. Dilger, in Ludwigshafen statt. Aus der Ehe stammten eine Tochter Anna (1901–1944, kam bei einem Fliegerangriff auf die Karlsruher Südstadt ums Leben) und drei Söhne. Die Ehefrau des ältesten Sohns Wilhelm, Gertrud Remmele, war nach dem Zweiten Weltkrieg zweimal Karlsruher Stadträtin.
Remmeles soziales und politisches Engagement führten dazu, dass er 1903 zum ersten Leiter des Städtischen Arbeitsamtes in Ludwigshafen bestellt wurde, das eines der ersten Städtischen Arbeitsämter im süddeutschen Raum war. Die Tatsache jedoch, dass er bei der Ausübung dieser Tätigkeit strenge parteipolitische Neutralität zu wahren hatte, machte dem Vollblutpolitiker offensichtlich schwer zu schaffen, denn schon ab September 1905 nahm er die Stelle eines Sekretärs und Redakteurs beim Mühlenarbeiterverband in Altenburg an, das damals ein selbständiges Herzogtum war. Remmele ließ seine Familie in Ludwigshafen zurück, und das war sicherlich vernünftig, denn seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied des Mühlenarbeiterverbandes führte ihn an viele Orte im ganzen damaligen Deutschen Reich, und außerdem war er recht schnell zum Vorsitzenden der Altenburger SPD gewählt worden, so dass er auch für die Partei dauernd unterwegs war.
Redakteur und Stadtrat in Mannheim
Nach der Vereinigung des Mühlenarbeiterverbandes mit dem Verband der Bierbrauer zu einem gemeinsamen Verband, Vorläufer der späteren Gewerkschaft NGG, sah Remmele keine Möglichkeit, im neuen Verband eine Tätigkeit an führender Stelle auszuüben und ging wieder nach Süddeutschland zurück: Ende Januar 1908 wurde er Redakteur bei der Mannheimer „Volksstimme“, dem Parteiblatt der SPD im Raum Mannheim, und die gesamte Familie zog nach Mannheim um. Remmele wurde bereits 1908 zum Vorsitzenden des Mannheimer Brauerei- und Mühlenarbeiterverbandes und außerdem 1911 in den Mannheimer Stadtrat gewählt und hatte somit ideale Betätigungsfelder für sein soziales und demokratisches Engagement gefunden.
Von September bis November war Remmeles „Kriegsdienstzeit“, wie er es selbst bezeichnete, als Landsturmmann in Villingen, wo er am 9. November 1918 in der Villinger Kaserne eine flammende Ansprache hielt, die die Bildung des Villinger Arbeiter- und Soldatenrates zur Folge hatte. Aber schon kurz darauf war Adam wieder in Mannheim, wo er dringend gebraucht wurde. Durch die Landesversammlung der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte in Mannheim wurde er in den „engeren Dreierausschuss“ gewählt, der als „Kontrollinstanz“ der Vorläufigen Badischen Volksregierung in Karlsruhe fungierte.
Innenminister und Präsident im Freistaat Baden
Seitdem ging es mit der politischen Karriere steil aufwärts: Adam Remmele wurde als Abgeordneter in die verfassunggebende Nationalversammlung Badens gewählt, wurde Vizepräsident dieser Versammlung und Innenminister in der „provisorischen“ Regierung Badens. Mit der Annahme der Verfassung wurde Baden endgültig zur demokratischen Republik, aus der badischen Nationalversammlung wurde der badische Landtag, und Remmele wurde am 2. April 1919 zum Innenminister gewählt. Er hatte dieses Amt bis zum 21. November 1929 inne und war somit der am längsten ununterbrochen tätige Innenminister in der Weimarer Republik.
Die sogenannte Weimarer Koalition hielt in Baden länger als in der Weimarer Republik. Die anfänglich vereinbarte Regelung, jeweils für ein Jahr einen Minister aus dem Kabinett zusätzlich noch das rein repräsentative Amt des Staatspräsidenten versehen zu lassen, wurde beibehalten, bis die Koalition auch in Baden schließlich nach der 1929 erfolgten dritten Neuwahl des Parlaments nicht mehr zustande kam. Somit hatte Remmele während seiner Mitgliedschaft im badischen Kabinett auch noch zwei Mal das Amt des Staatspräsidenten inne (1922/23 und 1927/28). Zusätzlich war er von November 1925 bis November 1926 außerdem Kultusminister. Wegen seiner großen Verdienste um den Aufbau der Freiburger Universitätskliniken wurde er anlässlich der Grundsteinlegung am 6. November 1926 zum Ehrendoktor (Dr. med. h.c.) der Medizinischen Fakultät an der Universität Freiburg ernannt.
Als Innenminister leistete Adam Remmele Bedeutendes: Er formte eine sehr effektive, demokratische Polizei, schuf eine mustergültige Kreis- und Gemeindeordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg erneut für kurze Zeit gültig war und entwickelte zukunftsweisende Ideen für eine Neugestaltung des Deutschen Reiches. Wegen seines kompromisslosen Eintretens für eine soziale und demokratische Republik wurde er natürlich angefeindet, vor allem von den Extremisten auf der linken Seite und auf der äußersten Rechten. Gegen Ende seiner Amtszeit als Innenminister wurde er vor allem von den Deutschnationalen und den Nazis immer heftiger angegriffen und schließlich so zermürbt, dass er bei der Landtagswahl 1929 nicht mehr kandidierte. Trotzdem stellte er sich auf dringendes Bitten der SPD nochmals für das Amt des Kultus- und Justizministers zur Verfügung, das er bis zur Neubildung der badischen Regierung im Juni 1931 versah. Remmele war auch Mitglied des Reichstages von Mai 1928 bis zum März 1933 und während seiner gesamten Tätigkeit als Minister zusätzlich noch Mitglied des Reichsrates.
Verhaftung durch die Nazis, Schaufahrt, KZ Kislau
Ab September 1932 kehrte Remmele zu einer Tätigkeit zurück, der er sich schon in seinen frühen Jahren ehrenamtlich gewidmet hatte. Diesmal machte er sie aber zu seinem Beruf: Er wurde geschäftsführendes Vorstandsmitglied im Zentralverband der deutschen Konsumvereine, der seinen Sitz in Hamburg hatte. In dieser Eigenschaft war er Redakteur und Verleger der Wochenzeitung des Zentralverbandes und schrieb zahlreiche Artikel, in denen er scharf gegen die undemokratischen Kabinettsregierungen am Ende der Weimarer Republik und vor allem gegen die Nazis Stellung bezog. - Das zahlten ihm die Nazis heim. Robert Wagner, der Gauleiter Badens, und der nun amtierende badische Nazi-Innenminister Pflaumer hassten ihn abgrundtief seit seiner Zeit als Innenminister, und jetzt sahen sie die Gelegenheit, Rache zu nehmen: Remmele wurde am 4. Mai 1933 in Hamburg verhaftet und mit der Eisenbahn nach Karlsruhe verbracht, im Bezirksgefängnis in der Riefstahlstraße inhaftiert und von dort aus am 16. Mai zusammen mit sechs weiteren Genossen von der SPD auf offenem Lastwagen in einer von den Nazis so bezeichneten, demütigenden Schaufahrt quer durch Karlsruhe gefahren und anschließend ins KZ Kislau bei Karlsruhe verbracht. Remmeles Frau verfiel deswegen in tiefe Depressionen und musste in die Hamburger Staatskrankenanstalt Langenhorn eingeliefert werden. Es war eine Krankenanstalt für psychisch Kranke, und nach Aussage von Familienangehörigen „wurde sie dort gestorben“, bereits im September 1933, als Remmele noch im KZ saß.
Am 9. März 1934 wurde Adam Remmele aus dem KZ nach Hamburg entlassen, unter der Bedingung, sich nie mehr politisch zu betätigen und sich jeden Monat bei der Gestapo zu melden. Da er irgendwie sein Leben fristen musste, erwarb er den kleinen Kaffeeversandhandel „Ettlinger und Co.“. Dora Steffens wurde seine Haushälterin, die ihm in der Hamburger Hammerlandstraße 36 den Haushalt führte – bis zum 27. Juli 1943, als bei einem Fliegerangriff das gesamte Haus in Schutt und Asche gelegt wurde. So zog er, zusammen mit Dora Steffens, nach Hechthausen in das dortige Haus Nr. 146, und dort schrieb er sein „Kriegstagebuch“, das im Original erhalten ist und den letzten Kriegsmonat in Hechthausen minutiös beschreibt.
Wiederaufbau der Bundesrepublik
Schon gleich nach dem Ende des Krieges machte sich Remmele wieder an den Aufbau der Konsumgenossenschaften: Ihm ist die Neugründung des Zentralverbandes zu verdanken, er baute ebenfalls die „Volksfürsorge“ wieder mit auf und gab Anstöße zur Neugründung von Konsumvereinen in ganz Deutschland. Im Februar 1948 wurde er durch die Hamburger Bürgerschaft in den zweiten, erweiterten Frankfurter Wirtschaftsrat gewählt, den er als Alterspräsident eröffnete. Der Frankfurter Wirtschaftsrat war gesetzgebendes Organ der Bizone und stellte die Weichen für die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik, die soziale Marktwirtschaft.
Lebensende
Aus Krankheitsgründen zog Remmele Ende 1949 nach Freiburg um, wo er sich in der dortigen Universitätsklinik behandeln ließ. Noch zwei Jahre waren ihm vergönnt. Trotz eines Geschwürs war er nach wie vor für „seine“ Konsumgenossenschaften und für seine Partei tätig. Am Sonntag, dem 9. September 1951, starb er in der Freiburger Universitätsklinik. Er ist in einem Ehrengrab auf dem Karlsruher Hauptfriedhof beigesetzt.
Widerstand im Nationalsozialismus
Vor 1933
Remmele baute als Innenminister eine demokratisch gesinnte Polizei auf, die bei demokratisch gesinnten Bürgern hoch geachtet, bei den Extremisten von links und rechts allerdings gefürchtet war, weil sie auf Weisung Remmeles rigoros für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit sorgte.
In seiner Denkschrift „Ausschreitungen bei den Vorbereitungen zur Landtagswahl 1929“ dokumentierte er die verbalen wie auch tätlichen Ausschreitungen der Nationalsozialisten. - Die Denkschrift wurde als Durcksache Nr. 2 im November 1929 dem Landtag vorgelegt. Eine der Folgen davon war die Aufhebung der Immunität Robert Wagners.
Als Kultusminister ging Remmele im Jahre 1930 gegen die Agitation nationalsozialistischer Lehrer vor, indem er deren sofortige Dienstenthebung anordnete.
Schon 1923 setzte Baden am konsequentesten das reichsweit gültige „Gesetz zum Schutze der Republik“ auf Weisung Remmeles um.
Remmele scheute auch vor gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Nazi-Größen nicht zurück.
Als verantwortlicher Redakteur der „Konsumgenossenschaftlichen Rundschau“ in Hamburg griff Remmele 1932 und 1933 in vielen seiner Artikel die nationalsozialistische Ideologie und Politik an.
Nach der „Machtergreifung“
Am 16. Mai 1933 gehörte Adam Remmele zu einer Gruppe von insgesamt sieben Sozialdemokraten - Adam Remmele, Ludwig Marum, Hermann Stenz, August Furrer, Sally Grünebaum, Gustav Heller, Erwin Sammet -, die wegen ihres aktiven Widerstands gegen die menschenverachtenden Ideen des Nationalsozialismus in das Konzentrationslager Kislau in der Nähe von Bruchsal gebracht wurden. Die Überführung in einer sogenannten Schaufahrt wurde von den Nazis als demütigendes öffentliches Schauspiel inszeniert. Sechs der Verhafteten wurden nach und nach wieder entlassen. Sie mussten unterschreiben, sich zukünftig nicht mehr politisch zu betätigen. Ludwig Marum wurde in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1934 in seiner Zelle heimtückisch ermordet. Siehe auch Widerstand im Nationalsozialismus.
Ehrungen
Am 6. November 1926 Verleihung der Ehrendoktorwürde (Dr. med. h.c.) der Medizinischen Fakultät durch die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg wegen seiner großen Verdienste um den Aufbau der Freiburger Universitätskliniken.
Am 16. Mai 1948 wurde Adam Remmele auf Veranlassung des damaligen Karlsruher Oberbürgermeisters Friedrich Töpper durch Beschluss des Gemeinderates das Ehrenbürgerrecht verliehen, nicht nur wegen seiner großen Verdienste um Karlsruhe und Baden, sondern vor allem als „Wiedergutmachung“ der Demütigung, die ihm in der Schandfahrt im Mai 1933 durch Karlsruhe und von den Karlsruhern angetan worden war.
Nach ihm wurde die 1964 eingeweihte Adam-Remmele-Schule in Daxlanden benannt.
Adam Remmele ist in einem Ehrengrab auf dem Karlsruher Hauptfriedhof beigesetzt, das in die Liste der „erhaltungswürdigen Gräber“ aufgenommen wurde.
Nur in seinem Geburtsort Altneudorf (heute Teil von Schönau, Odenwald) trägt eine Straße seinen Namen; eine „Adam-Remmele-Straße“ gibt es in Karlsruhe nicht.
Schriften
- Remmele, Adam, Der Standpunkt der süddeutschen Staatsoberhäupter, in: Süddeutsche Monatshefte, 25. Jg., Heft 4, Januar 1928, München
- Remmele, Adam, Statistische Untersuchung der Arbeits- und Lohnverhältnisse im Müllergewerbe, wurde in Altenburg 1909 vom Verband veröffentlicht
- Remmele, Adam, Staatsumwälzung und Neuaufbau in Baden, Verlag G. Braun, Karlsruhe 1925
- Remmele, Adam, Baden, Vom Absolutismus zum Volksstaat, Verlagsdruckerei Volksfreund, Karlsruhe 1931
- Remmele, Adam, Novemberverbrecher - Eine kriegspolitische Studie, Verlagsdruckerei Volksfreund, Karlsruhe 1930
- Remmele, Adam, Im Zauberreich des Herrn Remmele, Verlagsdruckerei Volksfreund, Karlsruhe 1931
- Remmele, Adam, Lehrerbildung und Sozialdemokratie in Baden, 1926
- Remmele, Adam, Vorschläge für die Reichs- und Länderreform, Volksfreund-Verlag, Karlsruhe 1929
- Remmele, Adam, Faschistische Treibhauskulturen, Flugschrift aus dem Jahr 1930
- Remmele, Adam, Zentralverband Deutscher Konsumgenossenschaften, Jahrbuch 1947 Hamburg, erster (33.)Jahrgang
- Remmele, Adam, Die Futterkrippe - Eine Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten, Dietz Nachf., Berlin 1931
Literatur
- Günter Wimmer: „Adam Remmele – Ein Leben für die soziale Demokratie“, Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2009 ISBN: 978-3-89735-585-9