Linke Opposition der KPD in Bruchsal

Aus dem Stadtwiki Karlsruhe:

In der Zeit der Weimarer Republik lag eine der Hochburgen der Linken Opposition der KPD in Bruchsal. 1925 wurden Bruchsaler Kommunisten, die zum linken Flügel der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gehörten, aus der Partei ausgeschlossen. Spätestens ab 1928 gab es in Bruchsal keine Gruppierung, die dem Kurs der KPD-Führung folgte. Bei der Reichstagswahl 1928 und bei der Landtagswahl 1929 entfiel ein Großteil der kommunistischen Stimmen in Bruchsal auf linksoppositionelle Kommunisten, die im Leninbund organisiert waren. 1930 wechselten die oppositionellen Bruchsaler Kommunisten zur trotzkistischen Vereinigten Linke Opposition – Bolschewisten-Leninisten (VLO). Ab 1930 war die VLO auch in zwei Nachbargemeinden Bruchsals, Heidelsheim und Forst, vertreten.

Hintergrund

Der Kurs der KPD in der Zeit der Weimarer Republik war erheblichen Wandlungen unterworfen. Ein Teil der Wandlungen war Folge der Mitgliedschaft der KPD in der Kommunistischen Internationale (Komintern), womit die Partei an deren Entscheidungen gebunden war und zunehmend zum Instrument von Fraktionskämpfen in der Sowjetunion und der sowjetischen Außenpolitik wurde.[1] Andere Kursänderungen hatten ihre Ursache in innerparteilichen Konflikten vor allem zwischen dem linken und rechten Flügel der KPD. Die Linke Opposition entstammte einer linksradikalen Tradition der Frühphase der KPD, für die Ungeduld und Putschismus, Misstrauen gegenüber der Parteiführung sowie Ablehnung des Parlamentarismus, der Mitarbeit in den freien Gewerkschaften sowie der Zusammenarbeit mit nichtrevolutionären Kräften kennzeichnend waren.[2] Allen Gruppen der Linken Opposition, die ab Mitte der 1920er Jahre entstanden, war die Kritik am Stalinismus und an der Stalinisierung der KPD gemeinsam.[3] Abgelehnt wurde insbesondere der von Stalin propagierte Aufbau des Sozialismus in einem Land, was als Abkehr vom Ziel der Weltrevolution angesehen wurde. Unter Stalinisierung wird der Wandel der KPD zu einer entdemokratisierten, vom Parteiapparat bürokratisch gesteuerten und völlig von der Komintern abhängigen Partei verstanden. Wie weit die KPD in ihrer Frühphase demokratisch und diskussionsfreudig war, ist in der Forschung umstritten.[4]

Ungefähr ab 1930 gewann Leo Trotzki zunehmend Einfluss auf die linksoppositionellen Kommunisten in Deutschland. Trotzki war seinerzeit als enger Vertrauter Lenins, Organisator der Roten Armee und Volkskommissar in den Anfängen der Sowjetunion weltbekannt. In den 1920er Jahren unterlag er Stalin im Machtkampf nach Lenins Tod; nach seiner Ausweisung lebte er ab 1929 im Exil in der Türkei. Ab 1930 kommentierte Trotzki die Entwicklung in Deutschland ausführlich. Seine deutschen Anhänger veröffentlichten seine Analysen in preiswerten Broschüren, die in hohen Auflagen erschienen und in allen Arbeiterparteien, aber auch bei Linksbürgerlichen, Widerhall fanden. Angesichts des Aufstiegs der Nationalsozialisten hielt Trotzki eine Einheitsfront von SPD und KPD für nötig, in die auch die SPD-Parteiführung einbezogen werden sollte, da sozialdemokratische Arbeiter gemeinsam mit ihrer Parteiführung gegen den Faschismus kämpfen wollten. Die KPD hielt die SPD gemäß ihrer Sozialfaschismusthese für einen Flügel des Faschismus; zeitweise war sie zu einer Einheitsfront „von unten“ bereit, mit der einfache SPD-Mitglieder von ihrer Führung getrennt und für die kommunistische Partei gewonnen werden sollten.[5]

Die linke Opposition der KPD verstand sich als Teil der KPD, auch wenn viele Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen worden waren. Nach innen, in der KPD und ihren Vorfeldorganisationen, traten Linksoppositionelle organisiert auf, brachten Resolutionen ein und verkauften ihre Zeitungen. Ihr Ziel war die radikale Reform der Partei. Nach außen gaben sie sich als KPD-Mitglieder aus, kämpften für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sowie gegen Faschismus und Sozialabbau.[6]

In zeitgeschichtlicher Literatur wird die besondere Bedeutung Bruchsals für linkskommunistische Gruppen betont[7] und die Arbeit der dortigen Gruppe ein „Vorzeigebeispiel“ genannt.[8] Die Quellenlage zur Geschichte der Stadt während der Weimarer Republik ist schlecht, da das Stadtarchiv beim Luftangriff 1945 komplett zerstört wurde und die drei in Bruchsal erschienenen Zeitungen nur äußerst lückenhaft erhalten geblieben sind.[9]

Bei den Reichstagswahlen während der Weimarer Republik dominierte in Bruchsal das Zentrum, auf das zwischen 37 % und 46 % der gültigen Stimmen entfielen. 1925 waren rund 68 % der Bruchsaler katholischer Konfession. Die SPD erzielte 1919 mit 30 % ihr bestes Ergebnis; 1920 fiel sie auf gut 14 %. Bei den Wahlen zwischen 1924 und 1933 entfielen rund 20 % der Stimmen auf die Parteien der Arbeiterbewegung, wobei die KPD ab 1930 stets besser als die SPD abschnitt. Die NSDAP wurde 1933 mit 39 % zur stärksten Partei.[10]

Leninbund

Die KPD war spätestens ab November 1922 in der Bruchsaler Stadtverordnetenversammlung vertreten; bei den damaligen Wahlen erzielte sie rund 8 % der Stimmen und vermutlich 5 von 72 Mandaten.[11] Bei der Wahl im November 1926 konnte die KPD mit 11,7 % und 9 Sitzen die SPD (10,9 %, 8 Sitze) überflügeln. Bei der Wahl des Stadtrats durch die Stadtverordnetenversammlung bildete die SPD 1926 mit bürgerlichen Parteien eine Gemeinschaftsliste, die sich gegen die Dominanz des Zentrums richtete. Allerdings konnte die Gemeinschaftsliste keine Mehrheit erreichen: Auf die Gemeinschaftsliste entfielen ebenso wie auf das Zentrum 6 Mandate; die Kommunisten stellen 2 Stadträte.[12] Offenbar bestand in Bruchsal eine Ortsgruppe des Roten Frontkämpferbundes (RFB), eines paramilitärischen Kampfverbandes unter Führung der KPD. Bei einer Fahnenweihe des RFB Ende Juni 1925 kam es vor dem Bruchsaler Zuchthaus zu einer Demonstration, deren Teilnehmer inhaftierten Kommunisten Ovationen darboten. Die Demonstration war für die badische Regierung Anlass, die Bruchsaler Ortspolizei gegen den Willen der Stadt zu verstaatlichen.[13]

Linke Kommunisten aus Bruchsal wurden bereits 1925 aus der KPD ausgeschlossen.[14] Die Republik Baden war ab 1926 eine Hochburg der linkskommunistischen Gruppe um Ruth Fischer und Hugo Urbahns. Zu den führenden Köpfen der Gruppe in Baden zählten die Mannheimer Abgeordneten Georg Kenzler und Jakob Ritter, die beide im Sommer 1927 aus der KPD ausgeschlossen wurden.[15]

Unter Beteiligung zahlreicher prominenter Linkskommunisten wie Fischer, Urbahns, Kenzler und Ritter wurde im April 1928 der Leninbund gegründet. Nach dem Aufruf zur Gründung war der Leninbund in Bruchsal mit einer Ortsgruppe vertreten.[16] Der Leninbund geriet umgehend nach seiner Gründung in eine tiefe Krise, nachdem die Komintern seinen Mitgliedern eine Wiederaufnahme in die KPD angeboten hatte, falls sie den Bund sofort verlassen. Das Angebot wurde von einigen prominenten Mitgliedern wahrgenommen, erwies sich jedoch als Täuschung.[17]

Der Leninbund beteiligte sich an den Reichstagswahlen 1928 mit dem Wahlvorschlag „Linke Kommunisten“, was intern stark umstritten war. Im Wahlkampf agitierten die Linken Kommunisten gegen die Aufrüstung und für die Einführung des Siebenstundentages. Reichsweit blieb der Leninbund mit gut 80.000 Stimmen oder 0,26 % bedeutungslos; in Baden kam er auf 0,54 %. In Bruchsal entfielen 630 Stimmen (8,7 %) auf den Leninbund; die KPD kam auf 81 Stimmen (1,1 %).[18] Einer der Kandidaten des Leninbundes für Baden war der Bruchsaler Maler Ludwig Dörr (1886–1971). Dörr hatte sich bei beiden Reichstagswahlen des Jahres 1924 für die KPD beworben.[19] Laut einem Bericht zum badischen KPD-Bezirksparteitag im April 1929 war die Partei nicht in Bruchsal vertreten, da es kein Parteimitglied gebe, das eine führende Parteiarbeit übernehmen könne. Dabei seien im Bruchsaler Leninbund „gute Arbeiterelemente“ organisiert, die man für die KPD wiedergewinnen wolle.[20]

Bei den Landtagswahlen im Oktober 1929 konnte der Leninbund aufgrund seiner organisatorischen Schwäche nur in 4 von 22 Wahlkreisen Kandidaten aufstellen.[21] Im Wahlkampf warfen die Linkskommunisten der KPD vor, sie habe mit ihren putschistischen Aktionen die Arbeiter in die Hände der Reformisten getrieben und verführe die Arbeiter mit ihren banalen parlamentarischen Manövern zu Illusionen über den Parlamentarismus. Nach Ansicht des Leninbundes sollte die KPD die Kapitaloffensive und den Faschistenterror abwehren.[22] In Bruchsal kam der Leninbund auf 533 Stimmen (7,2 %), die KPD auf 41 Stimmen (0,6 %). In ganz Baden erzielte der Leninbund 1530 Stimmen (0,16 %).[23]

Dem Historiker Thomas Kurz zufolge sind die Wahlerfolge des Leninbundes in Bruchsal vor allem auf die Loyalität der Mitgliedschaft zu einzelnen führenden Funktionäre zurückzuführen. Möglicherweise habe die „erstaunliche Persistenz der kommunistischen Linken in Bruchsal“ ihre Ursache in der allgemeinen Schwäche der dortigen Arbeiterbewegung.[24]

Vereinigte Linke Opposition – Bolschewisten-Leninisten

In Absprache mit Trotzki bemühte sich der österreichische Kommunist Kurt Landau ab 1929, den Leninbund für den Trotzkismus zu gewinnen. Im Februar 1930 wurde die trotzkistische Minderheit aus dem Leninbund ausgeschlossen. Auf Drängen Trotzkis gründete sich am 30. März 1930 in Berlin die Vereinigte Linke Opposition – Bolschewisten-Leninisten (VLO), die erste sich explizit als trotzkistische verstehende Organisation in Deutschland, die anfänglich ungefähr 200 Mitglieder hatte. Die Bruchsaler Gruppe schloss sich der VLO an; nach unterschiedlichen Angaben war sie von Kurt Landau oder von Max Frenzel, einem linkskommunistischen Stadtrat aus Ludwigshafen, zum Austritt aus dem Leninbund bewogen worden. Ludwig Dörr wurde Mitglied im obersten Gremium der VLO, der Reichsleitung.[25]

Bei der Reichstagswahl im September 1930 rief die VLO zur Wahl der KPD auf. In Bruchsal führte die VLO den gesamten Wahlkampf für die KPD. Bei Diskussionsveranstaltungen in Südwestdeutschland trat der preußische Landtagsabgeordnete Oskar Seipold für die VLO auf. Als Abgeordneter konnte Seipold kostenlos die Reichsbahn benutzen, so dass er angesichts der geringen finanziellen Mittel der VLO häufig deren Ortsgruppen besuchte.[26]

Bei den Kommunalwahlen im November 1930 trat die VLO unter der Bezeichnung Linke Kommunisten an und kam auf 12,3 %, neun Stadtverordnete und zwei Stadträte. Die KPD kandidierte nicht; die SPD erzielte 7.2 %, fünf Stadtverordnete und einen Stadtrat.[27] Die sozialdemokratische Zeitung Der Volksfreund wertete das Ergebnis der eigenen Partei als Niederlage; als mögliche Ursachen wurden das Wahlverhalten der Jungwähler sowie die zu geringe Verbreitung der SPD-Presse in Bruchsal genannt.[28] Im Stadtparlament setzten sich die linken Kommunisten vor allem für die Interessen der Erwerbslosen ein.[29]

Auf Reichsebene kam es in der VLO seit Gründung zu Konflikten, in deren Folge im Juni 1931 rund 80 Mitglieder um Kurt Landau austraten. Die Bruchsaler Gruppe entschied sich unter dem Einfluss von Oskar Seipold zum Verbleib in der VLO, die sich nach der Spaltung Linke Opposition – Bolschewisten-Leninisten (LO) nannte. Die Bruchsaler Ortsgruppe gehörte zu den größten der LO; im Juni 1931 stellte sie rund 45 der 150 LO-Mitglieder.[30] In der Reichsleitung wurde Bruchsal nach der Abspaltung der Landau-Gruppe von Paul Speck vertreten. Allerdings nahmen aus finanziellen Gründen meist nur Berliner Mitglieder an den Sitzungen teil. Paul Speck (1894–1969) war seit 1924 Inhaber eines Malergeschäfts in der Durlacher Straße; bei der Landtagswahl 1925 hatte er für die KPD im Wahlkreis V (Karlsruhe) kandidiert.[31]

Entsprechend den Vorstellungen Trotzkis von einer Einheitsfront initiierte die LO um Paul Speck im Herbst 1931 ein Treffen der Bruchsaler Arbeiterorganisationen, an dem Linkskommunisten, SPD, Gewerkschaften und der Internationale Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit teilnahmen. Der Bruchsaler SPD-Vorsitzende sprach sich zunächst gegen einen Aktionsausschuss aus; später beteiligte sich die SPD unter dem Druck ihrer Basis an dem Bündnis. Eine Kundgebung des Aktionsausschusses Ende 1931 richtete sich gegen den Abbau der Löhne und der Sozialfürsorge sowie gegen die unmittelbar drohende Gefahr eines faschistischen Regierungsterrors. Laut Polizeiangaben sollen 1500 Personen an der Kundgebung teilgenommen haben. Eine weitere Veranstaltung wenig später hatte rund 1200 Teilnehmer. Der Aktionsausschuss löste sich vor September 1932 wieder auf, wofür die Zeitung der LO, die Permanente Revolution, die bewusste Sprengungspolitik des örtlichen SPD-Vorsitzenden verantwortlich machte. Allerdings sei der Einfluss der LO in den Bruchsaler Gewerkschaften gewachsen; auch wurde das Wahlergebnis der KPD bei der Reichstagswahl im Juni 1932 als Erfolg gewertet.[32] In seiner Schrift Was nun? lobte Trotzki die Arbeit seiner Bruchsaler Gefolgsleute; die dortige Einheitsfront sei „trotz der bescheidenen Ausmaße ein Vorbild für das ganze Land“.[33]

Am 17. Juli 1932 kam es an der Großen Brücke in Bruchsal zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten, die mit Stöcken und Gummiknüppeln ausgetragen wurden. Die Nationalsozialisten wollten einen Propagandamarsch durch Bruchsal veranstalten. Die Polizei setzte Schlagstöcke ein und nahm etliche Personen fest. Die Auseinandersetzungen fanden vor einer großen Zuschauermenge statt, die eigentlich einen Aufmarsch der katholischen Jugend verfolgen wollte. Eine Chronik der NSDAP-Ortsgruppe erwähnt zwei weitere Schlägereien und Messerstechereien mit Kommunisten im August 1931 sowie im Februar 1933, bei denen es Verletzte gab.[34]

Im Gegensatz zu anderen linken Kleingruppen, die in der Endphase der Weimarer Republik Mitglieder verloren, konnte die LO ab Ende 1931 ein deutliches Mitgliederwachstum verzeichnen, blieb aber weit davon entfernt, eine Massenorganisation zu werden. Für den Jahreswechsel 1932/1933 werden 500 bis 700 Mitglieder genannt, wobei Bruchsal mit rund 100 Mitgliedern die stärkste Ortsgruppe bildete.[35]

Nachbargemeinden

Laut einem Brief Oskar Seipolds an Trotzki vom November 1930 hatten Bruchsaler Linkskommunisten eine KPD-Ortsgruppe bei Bruchsal „geschlossen ideologisch erobert“, die daraufhin vollständig der Opposition beigetreten sei. Eine zweite Gruppe zögere noch, leiste aber bereits fraktionelle Arbeit.[36] Nach Angaben von Mitte 1931 hatte die Linke Opposition in Heidelsheim und Forst Ortsgruppen mit rund zehn beziehungsweise fünf Mitgliedern. Später entstand eine neue Gruppe in Bretten.[37]

In Heidelsheim erzielte die Linke Opposition der KPD bei der Kommunalwahl im November 1930 128 Stimmen (10,7 %), womit sie fünf Mandate in der Gemeindeverordnetenversammlung und ein Mandat im Gemeinderat erreichte. Die KPD kandidierte wie bei den vorherigen Kommunalwahlen nicht. Für die Gemeindeverordnetenversammlung bewarben sich acht Industriearbeiter, ein Gärtner und ein Reisender. Die drei Kandidaten für den Gemeinderat waren von Beruf Dreher, Schlosser und Säger. Bei der Reichstagswahl 1928 waren auf die KPD 19 Stimmen (2,0 %) und auf die Linken Kommunisten 10 Stimmen (1,1 %) entfallen.[38] Im Jahr 1929 lebten in Heidelsheim rund 250 Industriearbeiter, von denen knapp 75 % Auspendler waren.[39]

Im Forst war die KPD seit 1926 im Gemeinderat vertreten; bei der Kommunalwahl 1930 erreichte sie 19 %. Forst war eine der Hochburgen der KPD im Amtsbezirk Bruchsal; bei den Reichstagswahlen Anfang der 1930er Jahre erzielten die Kommunisten Stimmenanteile zwischen 20 und 27 %. Bei der Neuwahl des Bürgermeisters 1932 kandidierten ein Bürgerlicher, ein Sozialdemokrat und ein Nationalsozialist. Im dritten Wahlgang stimmten höchstwahrscheinlich fünf der zehn Kommunisten im Gemeindeausschuss für den bürgerlichen Kandidaten, der in den vorherigen Wahlgängen deutlich besser als der Sozialdemokrat abgeschnitten hatte.[40]

Zeit des Nationalsozialismus

Nach dem Staatsstreich in Preußen im Juli 1932 begann die Linke Opposition mit der Vorbereitung auf die Illegalität. Die lokalen Organisationen sollten in Gruppen von drei bis fünf Mitglieder aufgeteilt werden; dort gewählte Leiter sollten eine Fünfer-Gruppe bilden und einen Kontakt zur Bezirks- oder Reichsleitung bestimmen. Der Sicherheitseffekt war von vornherein begrenzt, da sich viele Mitglieder von der gemeinsamen politischen Arbeit kannten.[41] In der Praxis gab es offenbar keine wirkliche Vorbereitung auf die Illegalität; noch Ende 1934 war die Umstellung auf Fünfer-Gruppen nicht abgeschlossen.[42]

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten war der in Bruchsal ansässige Bezirk Baden bei der illegalen Konferenz der Linken Opposition im März 1933 in Leipzig vertreten.[43] In Heidelsheim und Forst legten die Kommunisten am 20. beziehungsweise 24. März 1933 ihre Mandate nieder.[44] Am 18. März hatte der NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Robert Wagner es untersagt, Kommunisten zu Sitzungen kommunaler Gremien einzuladen.[45] Im März und April 1933 zwangen Bruchsaler Nationalsozialisten sozialdemokratische und kommunistische Funktionäre sowie Juden, Plakate und Werbeschriften an Häusern zu entfernen. Betroffen war unter anderem der Kartellvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), Wilhelm Rausch.[46]

Anfang 1934 wurde Hans Binder wegen Verächtlichmachung der Reichsregierung zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt. Binder, 1899 in Schaffhausen geboren, war Ingenieur und kommunistischer Funktionär. 1929 pachtete er das Gasthaus Zum Tannhäuser Ecke Salinen-/Moltkestraße, das den Bruchsaler Kommunisten als Versammlungslokal diente. Binder soll vor der „Machtergreifung“ an tätlichen Auseinandersetzungen mit Nationalsozialisten beteiligt gewesen sein.[47]

Im Juli 1935 wurde Robert Duttenhofer wegen Sachwuchers und Betrugs zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Geldstrafe von 10.000 Reichsmark verurteilt. Der Bruchsaler Rechtsanwalt war von 1908 bis 1928 Stadtrat des Zentrums. Ende der 1920er Jahre wurde Duttenhofer vor allem von zwei damaligen Bruchsaler Kommunisten Sachwucher, persönliche Bereicherung durch zu hohe Rechnungen, Urkundenfälschung und unsittliches Verhalten vorgeworfen. Später traten die beiden Hauptgegner Duttenhofers der NSDAP bei; im Juli 1933 entfachten sie vor dem Haus Duttenhofers „eine spontane Volkswut“, woraufhin Duttenhofer in „Schutzhaft“ genommen wurde. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus scheiterten Duttenhofers Bemühungen, eine Straftilgung zu erreichen. Die Verurteilung wurde als rechtmäßig eingestuft, auch wenn Begleitumstände des Strafverfahrens nationalsozialistisch beeinflusst gewesen seien.[48]

Nach Gestapo-Berichten wurden im Frühjahr 1934 in Bruchsal zwölf KPD-Angehörige festgenommen, die sich bei einem Flaschenbierhändler getroffen hatten. Ende 1935 glaubte die Gestapo, die KPD in Bruchsal vollständig zerschlagen zu haben, nachdem im Sommer des Jahres drei Kommunisten verhaftet worden waren. Ob es sich bei den Verhafteten um oppositionelle Kommunisten handelte, geht aus den Gestapo-Berichten nicht hervor.[49]

Einzelnachweise

  1. Rüdiger Zimmermann: Der Leninbund. Linke Kommunisten in der Weimarer Republik. (=Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 62) Droste, Düsseldorf 1978, ISBN: 3-7700-5096-7, S. 11.
  2. Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung. Klartext, Essen 2014, ISBN: 978-3-8375-1282-3, S. 103 f.
  3. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 102.
  4. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 89.
  5. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 349, 353 f, 362, 372 f.
  6. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 320, 339, 478.
  7. Zimmermann, Leninbund, S. 14.
  8. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 322.
  9. Alexia Kira Haus: Bruchsal und der Nationalsozialismus. Geschichte einer nordbadischen Stadt in den Jahren 1918–1940. (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Bruchsal, Band 19) Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2001, ISBN: 3-89735-190-0, S. 15 f.
  10. Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 21 f, 192–196;
    Badisches Statistisches Landesamt (Bearb.): Die Wahlen in Baden zur Verfassunggebenden Badischen und Deutschen Nationalversammlung im Jahr 1919. Übersicht der Abstimmungsergebnisse nach Gemeinden, Amtsbezirken, Landeskommissärbezirken (Wahlkreisen zur Badischen Nationalversammlung) und für das Land Baden (Reichswahlkreis Nr. 33). Müllersche Hofbuchdruckerei, Karlsruhe 1919.
  11. Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 198;
    Badischer Beobachter, 21. November 1922, S. 3 (Digitalisat);
    Der Volksfreund, 20. November 1922, S. 2 (Digitalisat).
    Die bei Haus genannte Sitzverteilung steht im Widerspruch zur dort genannten Stimmenverteilung.
  12. Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 92 f, 198–200.
  13. Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 69 f, 261.
  14. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 322.
  15. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 260.
  16. Zimmermann, Leninbund, S. 96 f.
  17. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 268–270.
  18. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 267, 490–493.
  19. Maria M. Schlitz: Ortsfamilienbuch Bruchsal. (=Reihe Deutsche Ortssippenbücher, Nr. 00.907; Badische Ortssippenbücher, Band 173) Cardamina Verlag Weißenthurm 2015, ISBN: 978-3-86424-268-7;
    Badisches Statistisches Landesamt (Bearb.): Die Wahlen zum Reichstag am 4. Mai 1924 in Baden. Badische Druckerei und Verlag Boltze, Karlsruhe 1924, S. 70;
    Badisches Statistisches Landesamt (Bearb.): Die Reichstagswahl am 7. Dezember 1924 in Baden. Macklot, Karlsruhe 1925, S. 68;
    Badisches Statistisches Landesamt (Hrsg.): Die Reichstagswahl am 20. Mai 1928 in Baden. Macklot’sche Druckerei, Karlsruhe 1928, S. 88.
  20. Thomas Kurz: Feindliche Brüder im Südwesten. Sozialdemokraten und Kommunisten in Baden und Württemberg von 1928 bis 1933. (=Berliner historische Studien, Band 23) Duncker & Humblot, Berlin 1996, ISBN: 3-428-08524-8, S. 181.
  21. Badisches Statistisches Landesamt (Hrsg.): Badische Landtagswahl am 27. Oktober 1929. Macklot’sche Druckerei, Karlsruhe 1930.
    Der Leninbund kandidierte in den Wahlkreisen Bruchsal, Mannheim-Stadt, Karlsruhe-Stadt und Kehl/Baden-Baden. In Baden-Baden waren zwei von drei KPD-Mandatsträgern zum Leninbund übergetreten; in Kehl wurde im Januar 1929 eine Ortsgruppe des Leninbundes neu gegründet. Siehe Zimmermann, Leninbund, S. 177 f.
  22. Zimmermann, Leninbund, S. 186.
  23. Badisches Statistisches Landesamt, Landtagswahl 1929.
  24. Kurz, Feindliche Brüder, S. 36 f, 252 (Zitat).
  25. Wolfgang Alles: Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930. 2. Auflage, Neuer ISP Verlag, Köln 1994, ISBN: 3-929008-01-7, S. 25–29;
    Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 281, 319, 321.
  26. Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, S. 52 f.
  27. Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 198–200.
  28. Der Volksfreund, 20. November 1930, S. 4. (Digitalisat)
  29. Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, S. 79 f.
  30. Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, S. 71–73.
  31. Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, S. 78 f;
    Badisches Statistisches Landesamt (Hrsg.): Badische Landtagswahl am 25. Oktober 1925. Macklot’sche Druckerei, Karlsruhe 1925, S. 71;
    Schlitz, Ortsfamilienbuch Bruchsal;
    Einwohnerbuch der Stadt Bruchsal und Umgebung. KBK-Druckerei und Verlag, Karlsruhe 1958, S. 15 (Digitalisat);
    Eintrag Speck, Paul bei trotskyana.net.
  32. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 374 f, 377.
  33. Leo Trotzki: Was nun?, zitiert bei Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, S. 80.
  34. Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 115–117.
  35. Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, S. 76 f, 79 f;
    Zimmermann, Leninbund, S. 240;
    Peter Berens: Trotzkisten gegen Hitler. Neuer ISP Verlag, Köln 2007, ISBN: 978-3-89900-121-1, S. 54.
  36. Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin, S. 322 f.
  37. Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, S. 71–73, 76 f.
  38. Steffen Maisch: Der Weg ins „Dritte Reich“. Die Geschichte Heidelsheims von der Weimarer Republik bis ins Jahr 1935. (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Bruchsal, Band 15) Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 1997, ISBN: 3-929366-55-X, S. 50, 154–156.
  39. Maisch, Der Weg ins „Dritte Reich“, S. 23.
  40. Konrad Dussel: Forst 1161–2011: Geschichte und Gegenwart der speyerisch-badischen Gemeinde. Verlag Regionalkultur, Heidelberg 2011, ISBN: 978-3-89735-673-3, S. 81, 84–87.
  41. Alles, Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, S. 158.
  42. Berens, Trotzkisten gegen Hitler, S. 64, 93.
  43. Berens, Trotzkisten gegen Hitler, S. 54, 94.
  44. Maisch, Der Weg ins „Dritte Reich“, S. 87, 184;
    Dussel, Forst 1161–2011, S. 87.
  45. Rupert Hourand: Die Gleichschaltung der badischen Gemeinden 1933/34. Dissertation Freiburg (Breisgau) 1985, S. 94.
  46. Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 153 f.
  47. Jörg Schadt (Bearb.): Verfolgung und Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden. Die Lageberichte der Gestapo und des Generalstaatsanwalts Karlsruhe 1933–1940. (=Veröffentlichungen des Stadtarchivs Mannheim, Band 3) Kohlhammer, Stuttgart 1976, ISBN: 3-17-001842-6, S. 72;
    Werner Greder: D' Brusler Dorscht. Die Geschichte der Bruchsaler Gaststätten und Brauereien. (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt Bruchsal, Band 14) Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2001, ISBN: 3-929366-52-5, S. 142 f;
    Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 166, 279;
  48. Haus, Bruchsal und der Nationalsozialismus, S. 139–142.
  49. Schadt,Verfolgung und Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden, S. 86, 228.