Joseph Victor von Scheffel/Die Flucht der Durlacher

Aus dem Stadtwiki Karlsruhe:

Die Flucht der Durlacher“ ist ein Gedicht von Joseph Victor von Scheffel über den Durlacher Großbrand von 1689 und dessen Folgen.

Gedichttext

Abgedruckt in „Die Pyramide“ von 1916

1. In den Wald von Langensteinbach
Dringt der Morgensonne Schein,
Weckt die Schläfer, die drin schliefen,
Traurig Volk in dunklen Reihn,
Durlachs Bürger, alt und jung und
Reich und arm in wirrer Flucht,
Die dort beim Ruinenkirchlein,
Nachtquartier im Moos gesucht.

2. Kühl und kalt von Frankreichs König
War dem Heer Befehl gesandt:
„In der Pfalz und längs des Rheines
Wüstet nur das deutsche Land!”
Und sie kamen, Duras[1], Melac,
vor dem welschen Pechkranzgruß
Ging, wie Israel zur Wüste,
Durlach auf den Exodus.

3. Reisesegen ward gebetet,
Ochs und Rößlein ward geschirrt
Und zu Fuß und Bauernwagen
Leichten Bündels fortgeirrt.
Da am Ittersbacher Hügel,
Wo zur Aussicht frei die Höh,
hielt der Zug wie festgebannt und
Scholl ein dreifach klagend Weh!

4. Der Vertriebnen Wange netzte
Schmerzenbittrer Tränen Tau.
Von dem Bergturm auf dem Turmberg
Stieg ein Qualm ins Morgenblau.
Der des Landes treuer Hüter
War und Wächter in Gefahr,
Wies mit ausgebranntem Dache,
Wie er selber hilflos war.

5. Und die Stadt, o Bild des Jammers!
Schwarzer Rauch und rote Glut
Wogten ob der hohen Giebeln;
Gierig fraß der Flammen Wut.
Hier die Kirchen, dort das Rathaus,
Dort die Karlsburg weit und groß,
Friedrich Magnus’, des Markgrafen,
Residenz und Lieblingsschloß.

6. Steine mochten sich erbarmen,
Denn die Weiber seufzten schwer:
»Weh! und aber Weh! Wir Armen
haben keine Heimat mehr.
Weh! vom trauten Herd des Hauses,
Vorratskammer, Tisch und Tuch,
Kräht der rote Hahn und bleibt nur
Hier im Feld der Brandgeruch.«

7. Schluchzend wiesen die Scholaren,
von der Wucht des Anblicks stumm,
Ihrem Rektor eine Wolke:
Das Gymnasium classicum!
Der sah hin und sah zum Himmel,
Und den Hut vom Haupt er nahm;
Nur das Wort „Exoriare!“
Über seine Lippen kam.

8. Und ein Glührot ob dem Hochland
Und ein Glührot fern am Wald
kündete: Hier schützt kein Schwert mehr
Vor des feindes Allgewalt.
Längs der Pfalz die reichen Dörfer,
Pforzheim mit der Fürstengruft
Und des Rheintals feste Märkte
Wirbeln Asche in die Luft.

9. Jedem war, als sei ihm selbst sein
Eigner Leichenzug bestellt,
Als sie jenes Feld verließen,
jenes Tränenklagefeld.
Württembergs ersehnte Grenze
Der Verscheuchten Marschziel war —
Und im Buschwald ward es stille —
Und bergab verschwand die Schar.

Aufführungen

Es wurde unter anderem aufgeführt bei der Durlacher Schlussfeier der Volks- und Mädchenbürgerschule im März 1926 in der Festhalle, die zum 100. Geburtstag von Scheffel diesem gewidmet wurde.[2]

Quelle

„Die Pyramide“, Sonntagsbeilage des Karlsruher Tagblatts, 6. Februar 1916, Digitalisat der BLB Karlsruhe

Fußnoten