Lehnswesen

Aus dem Stadtwiki Karlsruhe:

Das Lehnswesen war eines der Hauptmerkmale des Feudalismus im europäischen Mittelalter und bildete die Grundlage der Gesellschaftsordnung in jener Zeit.

Herkunft und Wesen des Lehnswesens

Ein Lehen wird im lateinischen feudum, feodum oder beneficum genannt. Das Lehen entwickelte sich aus dem „Klientelwesen“ des römischen Reiches der Spätantike und dem Gefolgschaftswesen der verschiedenen germanischen Reiche.

Ein Lehen beschrieb ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Lehnsherren und dem Vasallen oder Lehnsmann, der belehnt wurde. Ein Lehen kam dadurch zustande, dass beide Seiten einen Lehnseid schworen. Das Abhängigkeitsverhältnis drückte sich dadurch aus, dass der Lehnsherr Schutz und Treue für seine Vasallen bot, während ein Vasalle seinem Lehnsherren im Gegenzug Treue und Unterstützung bieten musste. Die Unterstützung bestand in der persönlichen Teilnahme oder, je nach Rang und Größe des Lehens, in der Stellung von Soldaten für Heerfahrten. Auch Geld- und Sachleistungen gehörten dazu und die Anwesenheit am Hof, um dem Lehnsherren mit Rat beistehen zu können.

Gegenstand eines Lehens war häufig ein Grundstück oder der Besitz an einer Immobilie wie z.B. eines Gutshofes oder einer Burganlage. Es gab jedoch eine Vielzahl verschiedenster Lehensformen und Bezeichnungen wie z.B. das Stiftslehen, bei dem der Lehnsherr ein Kloster war.

Verwendung des Lehens

Der Vasall konnte sein Lehen so verwalten, als wäre es sein eigener Grundbesitz. Aus heutiger Sicht kann man die Verwendung in etwa mit einem „Pachtvertrag“ vergleichen, bei dem der Verpächter dem Pächter ein Stück Land verpachtet. Der Unterschied liegt darin, dass das Lehen auf Lebenszeit vergeben wurde und der Vasall dem Lehnsherren Treue und Unterstützung schwören musste. Beim Pachtvertrag endet die Unterstützung des Verpächters durch Bezahlung des vereinbarten Pachtzinses. Selbstverständlich kann eine Pacht heute nur Grundstücke, Rohstoffe oder Immobilien umfassen. Eine Lehen konnte auch einzelne Höfe und Siedlungen und deren Bewohner einschließen sowie die Wahrnehmung verschiedenster Rechte wie z.B. das Recht auf Steuererhebung oder die Ausübung der Gerichtsbarkeit.

Dauer eines Lehen

Ursprünglich wurde ein Lehen auf Lebenszeit vergeben. Nach dem Tod des Lehnsherren oder des Vasallen fiel das Lehen wieder an den Lehnsherrn bzw. dessen Erbe zurück, der es neu vergeben konnte. Da die Nachfahren des ursprünglichen Vasallen häufig erneut belehnt wurden, setzte sich im Lauf der Zeit das erbliche Lehen durch. Nach einem Generationswechsel wurde dann nur noch in einem formaljuristischen Akt ein „Lehnseid“ abgegeben, der das Abhängigkeitsverhältnis für die neue Generation hervorheben sollte.

Ein Beispiel ist das Schicksal des Pfinzgaus. Das Lehen hatten die Grafen von Hohenberg inne. Als deren letzter männliche Nachfahre Berthold der Jüngere (siehe Berthold von Hohenberg) 1136 verstarb, fiel das Lehen zurück an die Staufer, welche die Grafschaft an die Grafen von Grötzingen vergaben. Ein paar Jahre später wurde nach dem Tod des Grafen Wecelo de Grecingen das Lehen nicht neu vergeben und die Grafschaft Pfinzgau erlosch.

Bedeutung des Lehnswesens

Mit der Vergabe von Lehen erhofften die Lehnsherren nachfolgend genannte Ziele zu erreichen.

Kontrolle über ihre Gebiete

In einer Zeit, da die deutschen Kaiser und Könige die meiste Zeit ihrer Herrschaft in ihren Ländern umherreisen mussten, um Präsenz zeigen und unmittelbare Herrschaft ausüben zu können, war es wichtig, dass ihre Gebiete möglichst in ihrem Sinne während ihrer physischen Abwesenheit von Personen verwaltet wurden, die ihnen formal selbst zur Treue und Folgschaft verpflichtet waren.

Auszeichnung und Auswahl der unmittelbaren Gefolgschaft

Da auch familiäre Verbindungen und eine gute Heiratspolitik nicht vor Konflikten im Inneren des Reiches schützen konnten, eröffnete sich dem Lehnsherren mit der Vergabe von Lehen und der Neuvergabe derselben beim Tod eines Vasallen die Möglichkeit, ihm genehme Personen auszuzeichnen, zu fördern und an sich binden.

Als das Lehnswesen in die Erblichkeit abglitt, trat dieser Aspekt in den Hintergrund, was auch zu einem Machtverlust der obersten Lehnsherren führte.

Ökonomische Gründe

Da zur Blütezeit des Lehnswesens die Naturalwirtschaft vorherrschte und große Teile der Bevölkerung direkt von der Landwirtschaft lebten, bot das Lehnswesen und die Weitervergabe von Lehen die Möglichkeit, die adligen und klerikalen Stände angemessen versorgen zu können. Klöster und Burgen verfügten über mehr oder weniger Siedlungen in ihrem näheren Umfeld, die deren Unterhalt dienten, da die Steuerabgaben ursprünglich in Naturalien erfolgten. Im Gegenzug sorgten sie für Bildung, Krankenpflege, Ausübung der Gerichtsbarkeit und in Krisenzeiten für Schutz.

Andererseits sorgte das Lehnswesen auch dafür, dass sich die Krieger nicht lange an einem oder wenigen Punkten eines Reiches konzentrieren konnten, sondern mehr oder weniger gleichmäßig über das Reich verteilt waren. Mobilmachungen dauerten entsprechend lange und es war so auch nicht möglich, alle Streitkräfte eines Reiches jederzeit verfügbar machen zu können. Aus diesem Grund waren Kriegszüge im Mittelalter überwiegend keine Massenschlachten mit Hunderten oder gar Tausenden von Kämpfern, wie es oft selbst in zeitgenössischer Literatur übertrieben angegeben wurde, um einen Sieg oder eine Niederlage besonders heroisch darstellen zu können. Auch die viel häufigeren Konflikte des Adels untereinander, die sich in Fehden entluden, wurden mit zahlenmäßig geringen Kräften ausgetragen.

Durch dieses feudale System war auch die Zahl der Ritter begrenzt, da ein Vielfaches an Personen benötigt wurde, um diese wirtschaftlich versorgen zu können. Es wurden auch verhältnismäßig hohe Anforderungen an Waffen und Ausrüstung gestellt, die nur eine größere Bauerngemeinschaft finanzieren konnte. Dies galt auch für die Marschverpflegung: die Kämpfer mussten selbst für ein entsprechendes Kontingent an Nahrungsmittelvorräten sorgen und diese zum Heerzug mitbringen. Dadurch war es im Regelfall auch nicht möglich, Krieger von weit entfernten Gebieten zu einem Kriegszug zu rufen, weil die Nahrungsmittelvorräte nicht so lange hielten und die Anreise entsprechend viel Zeit in Anspruch nahm.

Die Zeit der Massenheere kam erst in der Renaissance auf, als das Lehnswesen nicht mehr die Rolle wie im Feudalismus spielte und die Zeit der Söldnerheere begann. Zu jener Zeit gab es auch größere Städte, einen besseren Handel und eine insgesamt größere Bevölkerungszahl als noch zu Zeiten des Mittelalters, so dass auch wirtschaftlich größere Heere unterhalten werden konnten. Große, dauerhaft stehende Heere waren wiederum erst mit noch größeren Bevölkerungszahlen möglich, was mit dem Lehnswesen des Mittelalters so nicht umsetzbar gewesen wäre.

Abbildung der Gesellschaftsordnung

Oberster Lehnsherr war der Kaiser oder König. Dieser vergab Lehen an ihm unterstehende weltliche und kirchliche Adlige, die ihr Lehen wiederum aufteilten und an die ihnen unterstehenden Adligen weitergaben und so weiter.

Lehensfähig waren zunächst nur Personen, die frei, waffenfähig und im Besitz ihrer Ehre waren. Später waren auch so genannte Ministerialen, d.h. Dienstmannen und Männer von Ministerialen lehensfähig. Die unterste Stufe bildeten Männer, die zwar lehensfähig waren, ihre Lehen jedoch nicht an andere Personen vergeben konnten.

Durch diese sich ergebenden hierarchischen Strukturen bildeten sich die einzelnen Gesellschaftsschichten heraus. Ganz oben stand der Kaiser oder König, ganz unten befanden sich die zahlreichen Bauern und Unfreien und dazwischen die Stände des Adels sowie des Klerus.

Ende des Lehnswesens

Als die zentrale Macht der Kaiser und Könige schwand, was auch durch die Erblichkeit der Lehen resultierte, und somit die Macht des Adels wuchs, brachte das Lehnswesen nicht mehr die Unterstützung, wie sie ursprünglich gegolten hatte. Der Lehnseid war schließlich nur noch eine Formsache, der quasi keine weitere Bedeutung mehr entfaltete.

Der Adel versuchte nun zunehmend, aus den auch durch das Lehnswesen entstandenen unüberschaubaren Gebietsflecken ein möglichst zusammenhängendes Gebiet zu formen, aus denen dann die Territorialstaaten hervorgingen.

Weblink

Die deutschsprachige Wikipedia zum Thema „Lehnswesen“

Literatur

  • Hans Delbrück, „Geschichte der Kriegskunst: Das Mittelalter und Die Neuzeit“, ISBN 3-937872-42-6