Der Karlsruher Festzug zum 9. September 1896

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Das Gedicht Der Karlsruher Festzug zum 9. September 1896 wurde 1904 im Buch „Städte der Heimat – Gedichte“ von Peter Schnellbach veröffentlicht.

Gedichttext

Gedichttext

Wehende Fahnen auf Plätzen und Gassen,
Blumen und Kränze in blühenden Massen,
Grüne Pforten und Ehrenbogen,
Festlicher Menschen brausende Wogen.

Und treibt es so und drängt sich’s drauß,
Schafft froher Eifer im Bürgerhaus.
O, Mutter, eil dich, mach geschwind,
So ruft des Hauses blondes Kind,
Es ist schon spät, ich sollt schon fort sein,
Die andern werden all schon dort sein.

Du Ungeduld, die Mutter spricht,
So mächtig, denk ich, eilt’s noch nicht.
Hier, iß mir erst den Bissen Brot,
Dein Kleidchen, nun, das geht dir recht,
Und jetzt die Schärpe, gelb und rot,
Halt noch, das Kränzle sitzt dir schlecht.
Und renn’ mir nicht, du kommst noch mit,
Und wart, dein Krausle hier am Kragen,
Jetzt geh, und daß kein Pferd dich tritt!
Und komm mir unter keinen Wagen!

Das Töchterlein zu tun versprach,
Forteilt sogleich mit roten Backen,
Die Löcklein fliegen ihr im Nacken,
Vom Fenster schaut die Mutter nach.

Ein Stockwerk höher unterdessen
Warf sich das Söhnchen in den Flaus
Und tritt, halb schüchtern, halb vermessen,
Als ein Scholar jetzt aus dem Haus.
Und wer wohl dort zum Festzug geht,
Wo schon so lang, das Dach geschlossen,
Mit schläfrigem Kutscher und feurigen Rossen
Der Wagen vor der Türe steht?
Die Tür geht auf, da steigt man ein —
Ein köstlich Kleid, ein reiches Haar,
Ein Blitzen von Gold und edlem Gestein,
Was aber stellt die Schöne dar?
Auf hohem Tronsitz mit dem Pfau
Der Kleiderkünstler Priesterin?
Eine Blumenmaid, eine Edelfrau?
Eine hochgeborne Markgräfin?
Der hohen Schulen eine gar?

Der Wagen schwindet durch die Gassen,
Und sollen wir noch länger stehn?
Wir werden sie im Festzug sehn,
Drum fort, damit wir nichts verpassen.
Mein Gott, ist ein Gedränge hier!
Sie waren all so schlau als wir.
Ellbogen steif, die Köpfe oben,
Und schiebst du nicht, du wirst geschoben.
Da steht ein Seitengäßchen offen,
Und sei’s ein Umweg, nur hinein!
O weh, wir haben’s schlecht getroffen,
Wir stehn im Trubel mittendrein.

Festwagen fahren auf in Zügen
Aus jeder Gaß, um jede Ecke,
Hier stockt’s, und keiner kommt vom Flecke;
Ein Zank wär’s sonst, heut macht’s Vergnügen.

Geschmückte Roß, geschmückte Wagen,
Die aller Gewerbe Sinnbild tragen:
Hier unterm Turmdach die große Glocke,
Bekränzt ein Ochs am Metzgerpflocke,
Die Bretzel der Bäcker, vom Leuen gehalten,
Ein Riesenbuch mit mächtigen Spalten,
Vom Freiburger Münster ein herrlich Modell,
Ein reicher Schlitten mit Eisbärfell,
Der Brauer, der Wirte Fässer schwer,
Hier Ambos und Esse, und was noch mehr.

Die Menschen aber, die sie begleiten,
Sie gehen in Trachten aus alten Zeiten,
Im Ritterpanzer, im Reiterkollett,
Im Bürgerkleid mit dem Samtbarett.
Sie suchen der eine des andern Gesicht,
Selbst Nachbarn und Freunde, sie kennen sich nicht.
Und all das bunte fremde Gewühl
Durchflammt doch nur ein einzig Gefühl,
So stark, so wunderbar wie keins,
Du freu dich, Herz, es ist auch deins
Und heut noch löst’s ein Zauberwort. —
Da gibt es Raum im wirren Trosse,
Anziehn aufs neu die guten Rosse,
Es reißt der Strom mich mit sich fort.

Nur zu, ich laß vom Strom mich tragen,
Nicht jeder kann bevorzugt sein,
Und wer zu Pferd nicht sitzt noch Wagen,
Geht nebenher und hinterdrein.
Sind ihrer Viel! Doch will mir scheinen,
Die Vielen sind heut nicht die Kleinen.
Dies ist ein Fest von höchster Art,
Da heißt es Herr nicht, heißt nicht Knecht,
Wo sich ein Volk zusammenschart,
Wird Jubel erst und Freude echt.

Und in des Festzugs Pracht und Glanz
Will auch das Land sich huldgend neigen,
Was es vermag, dem Fürsten zeigen,
Und heil dem Badnerland, es kann’s!

Auf seinen Strömen, breit und lange,
Mit Dampf und Segel zieht das Schiff,
Durchs Blachfeld saust die Eisenschlange,
Und aus dem Tunnel gellt der Pfiff.
Von seines Schwarzwalds höchsten Spitzen
Geht fleißger Hände Segen aus,
Und was sie flechten, was sie schnitzen,
Man kennt’s daheim und kennt es drauß;
Im Blockhaus, überm Meere weit,
Schlägt eine Schwarzwalduhr die Zeit.

Und soll ich aber dein gedenken,
Mein Unterland, voll grüner Au’n,
Will Heimweh sich ins Herz mir senken,
Ach, wie ein Garten ist’s zu schau’n.
Den Sommer wohl mit Kranz und Garben
Ich acht ihn allerorten gleich,
Und kommt der Herbst mit tausend Farben,
An Wein und Obst, wie ist er reich!
Der Winter tut den Vöglein weh,
Und all die lichten Blumen starben;
Der Schwarzwald liegt voll Eis und Schnee.
Doch kommt der Lenz mit neuen Blüten,
Ist’s auch im Oberlande schön,
Doch nirgends, wo sie reiner glühten,
Als auf des Neckars sanften Höhn.
Wie dort die Luft von Düften schwillt,
Im Wald ein Ahnen drängt und quillt —
Mein Herz, und magst du streng dich hüten,
Dein Heimweh wird nur dort gestillt!

O weh, wo bin ich hingeraten?
Ich hab gesonnen, hab geträumt,
Was aber wartet solcher Taten?
Dein Glück, mein Freund, hast du versäumt.
Was nützt die frühre Eil und Hast?
Der Festzug, Alter, ist verpaßt.
Rasch, unter die Beine den Weg genommen,
Vielleicht noch glückt’s dir, recht zu kommen,
Und von den abgeräumten Tischen
Ein Bröslein etwa zu erwischen.

O weh, o weh, und nocheinmal,
Nicht durchzukommen um die Welt!
Von Menschen, Menschen ohne Zahl
Der ganze Ausblick mir verstellt!
Ich bin verdammt zum Hörensagen,
Nennt’s Sagenhören, einerlei!
Ich mag schon lieber gar nicht fragen,
Wieviel vom Festzug schon vorbei.
Vermöcht ich, was noch kommt, zu nützen,
Was mir entging, ich trüg‘s nicht schwer.
Still, horch! Es zieht mit Spiel daher,
Man sagt, die Turner sind’s und Schützen.
Ein Jagdzug naht mit Horn und Meute —
Es tönt das Horn, die Hunde bellen —
Zwei Wagen trügen reiche Beute,
Schmuck wären auch die Jagdgesellen.

Gebt acht, ruft’s laut hier aus der Schar,
Der Jagdzug weist auf unsre Stadt,
Weil Markgraf Karl ein Jäger war,
Der Karlsruh einst gegründet hat.
Ja, hab ich gestern recht vernommen,
So wird er auch im Zuge kommen.

Ein Andrer: Freilich ist’s der Fall,
Die Badner Herren kommen all.


Das heißt in Auswahl, spricht ein Dritter,
Und nur die Besten von den Guten.
Still, schaut, im Eisenhemd der Ritter!
Graf Berthold ist’s, mächt ich vermuten.
Dort, der das Kreuz am Mantel trägt,
Ist Markgraf Hermann wohlbekannt,
Er stand zum Rotbart unentwegt
Und starb gleich ihm im heilgen Land.
Hier Markgraf Christof wohlberaten,
Hielt Ordnung fest in seinen Staaten —

Der Mann hat weiter noch gesprochen,
Die Taten erzählt, genannt die Namen
Der Fürsten alle, die da kamen,
Doch ich ward Hörens unterbrochen.
Mein Nachbar zupfte mich am Kleid:
Daß ich Euch frage, Herr, verzeiht,
Ich bin nur fremd an diesem Orte,
Gönnt meiner Neugier ein’ge Worte.
Vorüber zieht hier manch Jahrhundert,
Der Fürsten hör’ ich viel verkündet,
Wo aber bleibt, frag ich verwundert,
Der Karlsruh, wie man sagt, gegründet?
Denn eine Stadt, wie diese hier,
Mit breiten Straßen, großen Plätzen,
So reich an alles Schönen Zier,
So mächtig an des Geistes Schätzen,
So voll gedrängten, kräftgen Lebens,
Voll hohen Sinns, voll edlen Strebens,
Voll Freimuts und voll Fürstentreu —
Und solche Stadt wär jung und neu?
Wär nicht im Land der ältsten eine?
Gebt zu, daß mir’s unfaßlich scheine.

Das waren meines Nachbars worte.
Drauf ich, vom heilgen Eifer heiß:
Ihr seid sehr fremd an diesem Orte,
Daß Ihr nicht wißt, was jeder weiß.
Noch nicht zweihundert Jahre sind’s,
So rauschte hier der grüne Wald,
Darinnen jagt ein edler Prinz,
Die Meute klafft, das Hifthorn schallt.
Das ist der Markgraf Karl von Baden.
Der Hirsch bricht jach durch Waldesmitte,
Der Fürst ist müd vom scharfen Ritte,
Die Eiche tät zur Ruhe laden –

Indes ich so noch freundlich schelte,
Da plötzlich wird ein Jubel laut,
Daß Alles, wem der Heilruf gelte,
Emporgereckten Hauptes schaut.
Ach, nun begreif ich dies Entzücken:
Vom hohen Wagen, treu und mild,
Gemacht, die Herzen zu beglücken,
Blickt unsres Fürsten edles Bild.
Weiß schon ein Bild den Sturm zu wecken,
Der rings sich tausendfach erhebt?
Hindurch! Ihn selber zu entdecken,
Für den dies alles wirkt und lebt!
Dort, auf dem Schloßbalkone droben,
Im Kriegerrock, der Bart so weiß,
Zu Dank und Gruß die Hand erhoben,
Er ist’s, der hohe Fürstengreis!

So laßt denn euren Ruf erschallen,
Sein Ohr versteht den treuen Sinn,
Doch mir, dem Einzgen wohl von allen,
Vergeb er, wenn ich säumig bin.
Ihn seh ich und mein Herz ist voll,
Daß mir ins Aug die Tränen steigen,
So laut der Andern Ruf erscholl,
Nur mir versinkt der Mund in Schweigen.

Doch Eines weiß ich: Ihn zu ehren,
Daß du, mein Mund, nicht lässig bist,
Ich will es meine Söhne lehren,
Was er den Seinen war und ist.
Und steigt ihm, nach der Zeiten Lauf,
Der heute siebzig Jahr vollendet,
Gesegnet eine Achtzig auf,
Dann sei ihm so mein Dank gespendet:
Die Kleinen führ ich, ihn zu sehn,
Sind’s ihrer Mehre, ist’s nur Einer,
Und muß ich selbst verstummet stehn,
Sie rufen Lebehoch statt meiner.
Sie tragen ihn in Herz und Geist,
Und wenn sie Friedrichs Namen nennen,
Mit Kindermund, sie dürfen’s dreist,
Denn mit dem Namen Friedrich heißt,
Was Hohes sie und Gutes kennen.

Hintergrund

Der Festzug fand 1896 statt zu Ehren des 70. Geburtstags von Großherzog Friedrich I. von Baden (1826–1907). Es nahmen 4.000 Personen auf 40 Festwägen daran teil.